Samstag, 9. August 2008

Bis jetzt hatte ich noch nicht viel davon und das wird auch bis Ende der übernächsten Woche weiterhin der Fall sein. Am 15. September haben wir das erste Gespräch mit der Leiterin unseres Forschungspraktikums. Rena ist glücklicherweise mit mir in einer Gruppe (sie hatte die Dame extra darum gebeten... ich bin sehr positiv überrascht)...
Rena an sich ist schon so ein Phänomen... wenn man sie nicht kennt, kann man sie leicht für abweisend halten - und ganz sicher auch für merkwürdig... sie spricht ein wenig monoton und langsam. Sie ist forsch und platzt mit Dingen heraus, die ich so nicht sagen würde. Aber insgeheim bewundere ich sie dafür, dass sie etwas mehr auf die Meinung der anderen scheißt als ich. "Könnt ihr mal die Klappe halten? Das nervt ECHT!" ist nur eine der vielen Stilblüten, die sie von sich lässt, wenn sie in der Vorlesung nichts mitbekommt, weil andere sie mit ihrem Gelaber endlos nerven.
Wenn man sie dagegen kennt und sich zu ihren Freunden zählen darf, dann offenbart sich einem plötzlich die gesamte Palette aller möglichen Emotionen. Neben ihrer unglaublichen Impulsivität ist eines besonders bemerkenswert: Ihre nahezu kindliche Begeisterung für die Natur und alle Lebewesen darin.
Es kann passieren, dass wir in eine fachliche Unterhaltung über Untersuchungen zur kategorialen Lautwahrnehmung vertieft sind und plötzlich ein Leuchten über ihr Gesicht huscht: "Schau mal! Ein Marienkäfer!" In solchen Momenten scheint sie wie eine Rose zu erblühen und ich kann voll und ganz nachvollziehen, warum Männer sich in sie verlieben.
Ja, ich weiß, das klingt wie eine Ode, aber ich bin einfach nur völlig fasziniert von dieser - wie ich finde - einzigartigen Persönlichkeit.
Wenn sie tanzt, scheint sie auszubrechen aus allen Zwängen, die sie tagsüber erdrücken und ihr den Atem nehmen... sie vergisst die Welt um sich herum.
An dieser Stelle muss ich es in Kauf nehmen, arrogant zu klingen: Ich wünschte für sie, dass mehr Menschen Augen für diese phänomenale Metamorphose hätten und hinter die Fassade schauen würden.
Aber vielleicht machen die Hindernisse, die sie Tag für Tag zu überwinden hat, sie genau zu der, die sie ist.
Und das zu missen, wäre wirklich wirklich traurig.

Na ja, genug lobgehudelt.
Was ich eigentlich sagen wollte, betraf meine Freizeit... alles, was ich unbedingt das ganze Semester über tun wollte, stopfe ich in die Ferien. Ich wollte Mariechen besuchen, OB, meine Eltern, da mein Bruderherz Geburtstag hat (nur grenzenlos unfair, dass Little J seinen immer ohne seine Großeltern feiern muss, da sie sich zu fein sind, herzukommen), mit M. endlich mal dem Picasso-Museum einen Besuch abstatten... selbstverständlich soll Emilia auch nochmal dran glauben... von Ordi ganz zu schweigen. Ich weiß weder, woher ich die Zeit, noch die Mittel nehmen soll, das alles zu verwirklichen. :)
"Mittel" ist ohnehin ein gutes Stichwort...
Das DSM IV. Tägliches Handwerkszeug eines jeden Psychologen und ab dem dritten Semester auch für uns interessant. Es muss zwingend angeschafft werden.
Und es ist unfassbar teuer. Schlappe 130 € soll man dafür hinblättern und hat keine Möglichkeit, es gebraucht für einen weniger horrenden Preis zu erstehen. Ich frage mich ernsthaft, woher ich das nehmen soll. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es nicht das einzige Buch ist, das es noch anzuschaffen gilt.

"Buch" bringt mich wiederum zu einer Textpassage, die mich vorhin sehr berührt hat. Sie stammt aus "Morgen bin ich ein Löwe" und ist die Geschichte von Arnhild Lauveng, der es tatsächlich gelungen ist, nach mehr als 10 Jahren ihre Schizophrenie zu besiegen - und die gilt als absolut unheilbar. Es ist unglaublich wie menschlich sie schreibt... es ist als wäre sie von dort zurückgekommen, wo niemand vorher war... endlich erfahren wir etwas von der anderen Seite der Krankheit...
Sie erzählt nun wie sie die Erlaubnis bekam, die Klinik für ein paar Stunden zu verlassen, um ihre Familie zu besuchen.
"Viel später, es war inzwischen Frühling, sollte ich die Erlaubnis erhalten, einen Besuch zu Hause zu machen. Es war über ein Jahr her, dass ich das letzte Mal zu Hause gewesen war, und ich freute mich sehr, obwohl es kein richtiger Urlaub war, sondern nur ein paar Stunden Besuch in Begleitung von zwei Betreuern. Mama hatte vorher auf der Station nachgefragt, was sie besonders berücksichtigen müsse oder woran sie denken solle. Man riet ihr, alle Messer und spitzen Gegenstände wegzuräumen und alle zerbrechlichen Dinge, die ihr besonders am Herzen lagen. Und sollte sie mir etwas anbieten wollen, dann bitte auf einem Pappteller.
Natürlich wollte mir Mama etwas anbieten. Sie ist eine Mutter, eine fürsorgliche noch dazu, und wenn ihre jüngste Tochter nach über einem Jahr nach Hause zu Besuch kommt, wollte sie auch etwas Schönes für sie machen. Es war Frühling, und sie hatte Erdbeeren gekauft. Sie hatte Sahne geschlagen, wie ich es am liebsten mochte, und meinen Lieblingsschokoladenkuchen gebacken. Und das Thema Pappteller hatte sie ausführlich und lange mit meiner großen Schwester diskutiert. Sie waren beide zu dem gleichen Schluß gekommen.
Als ich dann an einem Tag im Mai nach Hause kam, war mein Zimmer bereitet, und auf meinem Nachtschränkchen standen frische Blumen, obgleich ich nur ein paar Stunden dort sein würde. Ich ließ mich auf mein Wasserbett fallen und spürte, dass es geheizt war. Ein Jahr, nachdem ich zuletzt zu Hause gewesen war und ohne jede Aussicht auf die Erlaubnis, bei ihr übernachten zu dürfen, hatte meine Mutter trotzdem die Heizung angeworfen. Das Bett war bereit und wartete darauf, dass ich nach Hause kam. Und im Wohnzimmer war der Tisch gedeckt. Frische Blumen, gesticktes Tischtuch - und die Tassen mit den Rosen.
Das geerbte Service. Die schönsten und vornehmsten Tassen, die Mama hat, aus dünnem, sehr dünnem Porzellan, verziert mit zarten, hellrosa Rosen und geschwungenen Goldrändern. Jede Tasse ein kleines, nostalgisches Wunder filigraner Schönheit.
Mama hatte mich schon so oft Tassen zerschlagen sehen. Sie wusste, wie blitzschnell ich sein konnte und wie unmöglich es war, mir Einhalt zu gebieten. Trotzdem hatte sie den Tisch mit ihren Rosentassen gedeckt, in blindem Vertrauen zu dem Menschen, der schon so oft bewiesen hatte, dass man ihm ganz sicher keine Tassen anvertrauen durfte. Und natürlich zerbrach ich sie nicht. Natürlich nutzte ich ihr Vertrauen nicht aus. Die Tassen, ja der ganze Tisch, zeigten mir mehr als deutlich ihre Erwartungen: Du bist noch immer mein Mädchen, Arnhild. Du bist noch immer diejenige, die etwas Schönes zu schätzen weiß und die ihre Familie in Ehren hält, die Traditionen und die wichtigen Dinge im Leben - wie die Schönheit. Nie wirst du so verrückt sein, das Schöne und Wertvolle zu zerstören, nie wirst du so krank sein, dass du nicht zu schätzen weißt, was Schönheit ist. Du bist noch immer unser Mädchen. Hier, bei uns zu Hause, bist du keine schizophrene Patientin, hier bei uns bist du Arnhild.
Ich werde das nie vergessen. Nach Monaten und Jahren, in denen von mir nichts als Verrücktheit erwartet wurde, in denen nur die Diagnosen und Beschreibungen zählten, wurden mir ein paar strahlend helle Maistunden gewährt, in denen ich Tee und Vertrauen aus hauchdünnem Porzellan schlürfte. Es war überwältigend, großartig und genau das, was ich in diesem Moment brauchte."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schön fleißig kommentieren. :)